In der Nummer 4 von Einunddreißig finden wir ein bemerkenswertes Tanka von Conrad Miesen:
Die Gartenstühle
übereinander gestellt.
Nebel kriecht heran...
Im Rasenschach konserviert
eine finale Stellung.
Es ist, wie alle seine Tanka, in klassischer Silbenform gehalten, der Form, die der Autor auch in seinen Haiku einhält und die ja solchen Texten eine gewisse Ruhe entstrahlen läßt, einfach weil sie, was sie darstellen, in einer wohlverstandenen Form, gewissenmaßen mit einer vertrauten Formalität vorbringen.
Die ersten drei Segmente sind wie ein Haiku, ebenfalls in dessen vertrauter Gestaltung: Wir bekommen etwas von draußen, aus der freien Natur, soweit wir sie in die Nähe unserer Wohnstatt bringen können; wer hätte nicht gern sein Stück Rasen, wo man sich und ein paar Gäste in Gartenstühlen in die Sonne setzt, um deren Wärme gelassen und erholsam zu genießen! Allerdings ist hier die Zeit nicht mehr die der warmen Sonne, im Gegenteil, die Gartenstühle sind schon gestapelt und laden nicht mehr zum Hinsetzen ein, kalter Abendnebel kriecht heran, die Saison ist zu Ende, es ist Spätherbst, nicht mal der des Altweibersommers, und sicher nicht der der ersten Strophe von Hölderlins "Hälfte des Lebens", sondern eher der von dessen zweiter, - aber dann wieder bei weitem nicht so dramatisch. Hier haben wir mehr ein Herbstende, das in der Öffentlichkeit ordentlich seinen Lauf nimmt: Die Gartenstühle sind fertig zum Verstau für den Winter, und am nächsten Tag werden sie weggeschafft.
Jetzt war erstmal Feierabend, es ist kühl und neblig, und Überstunden sind nicht nötig, um alles noch schnell zu erledigen; nichts eilt. Am nächsten Tag werden dann auch die Schachfiguren eingeholt, die da laut dem zweiten Teil noch im Park oder am Rande des Biergartens auf ihrem übergroßen Schachfeld herumstehen. Aber noch stehen sie ihrer Funktion gemäß da, und zwar in einer Endspielposition, das bemerkt der späte Spaziergänger: matt oder Verlust der Dame in zwei, drei Zügen, auf jeden Fall, daß da keine weitere Entwicklung mehr stattfindet. Sein Auftreten und sein Blick auf die Schachfiguren erweitern das Haiku zu der Art Tanka, die in dessen historischer Entwicklung ja mal zum Tan-Renga führte (zum Tanka von zwei Autoren): wir haben eine deutliche Zäsur zwischen den Segmenten a, b, c einmal und d und e zum zweiten, und der zweite Teil jetzt bringt nicht nur Gesehenes, sondern auch Gedankliches, Verstandenes dazu. Auch in diesem letzten Spiel der Saison ist das Spiel zu Ende; so wie die Figuren da stehen, ist es aus. Ironie jedoch: Diese Schlußstellung ist "konserviert", steht fest für jeden, der was davon versteht und der's nachprüfen wollte. Aber trotzdem: Am nächsten Arbeitstag werden auch diese Figuren abgeholt, um in einem Geräteschuppen eng aneinander gestellt oder einfach zusammengeworfen aufgehoben zu werden, und nichts von ihrer sinnvollen Beziehung zueinander am Tage davor wird mehr vorhanden sein.
Eine Menge Spätherbst – und mehr – findet hier also in ganz einfacher Sprache Ausdruck. Aber auch diese Sprache ist bemerkenswert. Der über den ganzen Text verteilte "st"-Stabreim, der "k"-Stabreim in beiden Teilen, die betonten "-an-" in b und c, die unbetonten "-le" am Anfang und Ende, das so unauffällige, aber großartig Lautmalerische von "übereinander", - auch derart Klangliches tut das seine, ein klassisches Tanka zu schaffen, wo alles beachtlich zusammenwirkt.